1998 - Einzelausstellung Galerie im Höchhuus Küsnacht

5. Juni - 28. Juni 1998

WANDOBJEKTE
METALL UND PLEXIGLAS
Ausstellung Galerie im Höchhuus
Seestrasse 123
8708 Küsnacht

Glückliche Momente - oder: die labile Ordnung der Objekte

Christian Rentsch, freier Journalist

Hart und weich, warm und kalt, leicht und schwer: Die Männedörfler Künstlerin Ursula Gerber-Senger spielt verschmitzt mit Kontrasten, Gegensätzen und Widersprüchen. Ihre Wandobjekte aus Metallgeweben und Plexiglas sind ab 5. Juni im Küsnachter Höchhuus zu sehen.
 
Wo alles immer lärmiger und schriller wird, macht das Leise um so neugieriger. Die Wandobjekte von Ursula Gerber-Senger springen einen nicht mit lauten Provokationen an; die ruhigen Farbklänge, die klaren Formen und symmetrischen Figuren, die ihre Bezüge zur konstruktiven Kunst nicht verhehlen, überlassen dem Betrachter den ersten Schritt. Anfangs der 90er Jahre aber fand sie neue faszinierende Werkstoffe, deren widersprüchliche Eigenschaften ihrem künstlerischen Schaffen ganz neue spielerische Dimensionen eröffneten: feinste Metallgewebe vor allem aus Bronze und Stahl. Hartes Material, das sich weich und geschmeidig verformen lässt, undurchlässige Materie, die im Licht in allen möglichen Stadien transparent wird, schwerer Stoff von ätherischer Leichtigkeit, kaltes Metall, das in warmen Farben leuchtet. In der Hitze des Brennofens und unter den Händen der Künstlerin wird das tote Gewebe lebendig: es verfärbt sich zu einer breiten Palette von fein abgestuften Gelb-, Grün-, Blau-, Rot-, Violett- und Brauntönen. Und: Zerknittert und zerknautscht, gerollt, gefaltet und plissiert, verwandeln sich die feinen Geflechte zu wuchernden, wuscheligen Gewebeknäueln, zu knospenden Blüten, tektonisch verfalteten Gebirgslandschaften, zu schrundiger Haut in mikroskopischer Vergrösserung, ein Kamasutra ineinander verknäuelter Figuren und Formen.

LABILE ORDNUNG

Zuerst noch etwas zaghaft, fast scheu, montierte und kombinierte sie diese eigenwilligen lebendigen Gebilde auf streng geometrisch angeordneten Plexiglas-Rastern zu rhythmischen Mustern, spielte sie mit Vorder- und Hintergründen, mit Licht und Schatten, mit Vielschichtigkeit und Transparenz. Inzwischen ist sie freier, ungezwungener geworden, fand sie kräftigere, wärmere, leidenschaftlichere Farben; die zerknäuelten, verkräuselten Gewebelandschaften begannen die starren Umrisse der Plexiglas-Quadrate zu überwuchern, bis dieses schliesslich ganz verschwanden. Zunehmend entwickelten die einzelnen Elemente ein freieres, unabhängiges Eigenleben, keines gleicht dem anderen, jedes erzählt seine eigene unverwechselbare Geschichte. Alle verändern sich aus unterschiedlicher Perspektive und Distanz, im Wechsel des Licht zu immer wieder neuem Ausdruck. Und passen sich dennoch ungezwungen ein ins Ganze, in die labile Ordnung der Objekte.
 

DAS GROSSE SPIEL DES LEBENS

Nicht zufällig sicher, dass die 40jährige Künstlerin, die als gelernte Hochbauzeichnerin und Bauführerin, derzeit auch als Zinnpfeifenbauerin in einer Orgelbaufirma, immer in Männerberufen gearbeitet hat, sich von diesen neuen Werkstoffen faszinieren liess: Das Ying und Yang von Hart und Weich, Warm und Kalt, Leicht und Schwer, von rationaler Ordnung und verspielter Intuition, durchaus auch von Männlich und Weiblich eröffnet ihrer Kunst einen vielschichtigen, immer wieder neu verwirrenden und faszinierenden Assoziationsspielraum. Die Frau, die sich mit leiser Ironie, mit Witz, Charme und liebevoller Sympathie unter Männern bewegt, spielt das grosse Spiel des Lebens verschmitzt auch in ihrer Kunst.
 

ZEIGEN UND VERHÜLLEN

So hat sie neben den grossen Wandobjekten auch eine Reihe leichter "Körperhüllen" aus plissierten, zerknitterte locker mit Innoxdraht vernähten Gewebesteifen geschaffen. Verführerische, erotische Nichts, die ebenso federleichte, transparente Korsetts aus Tüll sein könnten wie nachlässig abgestreifte, reptilienhaft schimmernde Körperhäute, welche Brüste, Bauch, Taille und Hüften nur noch knapp erahnen lassen. Oder gar Frauenkörper selbst im träumerischen Zustand ihrer Verflüchtigung. Haut und Körper, Realität oder Phantasie, ein verwirrendes, witziges Vexierspiel von Zeigen und Verhüllen, von Schein und Sein. Auch was leise redet, kann intensiv, leidenschaftlich und heftig sein. Das gilt vor allem auch für die Kunst von Ursula Gerber-Senger, die nicht in den kühlen Lüften der Abstraktion fernab vom Leben schwebt, sondern auf eine geheimnisvolle Art flüstert und redet von dem, was sie auch im Alltag lebt, erlebt, was sie beschäftigt, bewegt und vorantreibt.

Christian Rentsch, freier Journalist
ZÜRISEESPIEGEL
Wochenendbeilage / Zürichsee-Zeitung 29.Mai bis 4. Juni 1998